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Auf der Durchreise nach Paris besuchte Edith Stein Jean Hering am 6.9.1932 in Strasburg.
Er war ein Mit-Phänomenologe aus Göttingen. Sie traf ihn öfter in Bad Bergzabern im „Phänomenologen-Heim“ des Ehepaares Conrad-Martius. Seinen Jahrbuch-Artikel „Bemerkungen über das Wesen, die Wesenheit und die Idee“ (JPPF IV, Halle 1921, 495-551) verwendete sie intensiv für ihr Hauptwerk Endliches und ewiges Sein.
Edith Stein legte auf der Reise nach Paris am 6.9.1932 einen Zwischenaufenthalt in Straßburg ein, um Jean Hering (1890-1966) zu besuchen (ESGA 2, Br. 217). Er wollte Edith Stein an der Sperre, die es damals an allen größeren Bahnhöfen gab, abholen, schrieb er ihr. Er wohnte damals in der Rue Finkmatt 7. Für Edith Stein fand er eine Übernachtung im klösterlichen Schwestern-Institut Allerheiligen für eine Nacht, heute „Clinique de la Toussaint“ (11, rue de la Toussaint).
Gemeinsam besuchten sie das Strasburger Münster. Außerdem den „Schiffleutstaden“, heute der „Quai des Bateliers“ entlang der Ill verlaufend. Danach trafen sie mit Louis Pinck (1873-1940) zusammen, einem Geistlichen, Priester und Volksliedersammler.
Das Strasburger Münster wurde auch am folgenden Tag, dem 7.9., für ein Hochamt besucht und sein Turm bestiegen.
Es folgt eine Notiz über die Besichtigung der evangelischen Thomaskirche. (A 01-01)
Am 7.9.1932 fuhr Edith Stein weiter nach Paris.
Jean Hering stammte aus dem elsässischen Ribeauvillé. Er studierte an der Universität Strasburg Philosophie und ev. Theologie, ebenso in Heidelberg, 1909-12 in Göttingen bei Husserl. Edith Stein kam 1913 nach Göttingen und traf Hering während seiner Vorbereitung auf sein Staatsexamen:
„Mit Hering brauchte man nicht lange zusammen zu sein, um mit ihm Fühlung zu haben. Er kam jedem mit einer kindlich-offenen Art entgegen, hinter der eine tiefe und zarte Güte stand.
Dabei war er ein Schalk und hatte beständig die erstaunlichsten Einfälle, so daß seine Gegenwart alle bösen Geister der Schwermut, der Verstimmung, der Lieblosigkeit bannte. Sein schmales Gesicht, sein blonder Spitzbart, seine dünne Stimme hatten etwas vom tapferen Schneiderlein. Husserl liebte ihn sehr und schätzte zugleich seine philosophische Begabung.“ (ESGA 1, 238f.)
Hering wollte in Göttingen bei Husserl und Max Lehmann promovieren, was aber durch Husserls Wechsel nach Freiburg 1916 misslang. Nach dem I. Weltkrieg, an dem er immer wieder versucht hatte, teilzunehmen, was aus Gesundheitsgründen nur teilweise gelang, ging er als Lehrer an sein altes Gymnasium. Ab April 1919 wechselte er nach Paris, um an der dortigen „École Pratique des Hautes Ètude“ im Bereich Religionswissenschaften zu studieren.
Ab 1921 kommt Hering von Paris aus immer wieder nach Bergzabern ins Phänomenologen-Heim des Ehepaars Conrad, ebenso wie Alexandre Koyré und Edith Stein. Während Edith Stein im Winter 1922/23 nach Speyer zieht, kehrt Hering Ende 1924 aus Paris nach Strasbourg zurück. Knapp acht Jahre hatten dann das Ehepaar Conrad, Hering und Edith Stein ihren Lebensmittelpunkt unweit von Bergzabern, für Hering waren es ca. 80 km Entfernung.
Ab 1925 arbeitete Hering am Lycée Protestante in Strasburg und wohnte in der Rue Kalb 6. Seine Phénomenologie et philosophie religieuse erschien in Strasbourg, ein Jahr später auch in Paris.
1926 wurde Hering Dozent für Neues Testament und Geschichte des frühen Christentums an der Universität Strasburg, so auch zu der Zeit, als Edith Stein ihn 1932 besuchte.
1937 erschien seine Dissertation Le Royaume de Dieu selon Jésus et l’apôtre Paul, und 1938 übernahm er den Lehrstuhl für Moraltheologie.[1]
Hering erkundigte sich über den Verbleib Edith Steins und erhielt am 2.9.1945 vom Karmel in Echt folgende Antwort: „Ihre w[erte]. Karte aus Clermont kam nicht an ihre Adresse, u[nd]. so müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass seit 2.8.42 unsre Schwester auch keine andere angab. Wir sind ohne jede Nachricht von ihr, trotz eifriger Erkundigungen. So suchen wir sie an einem weit besseren Platz u. durch andere Verbindung zu erreichen. Von dort aus wird sie uns allen nahe sein u. bleiben.“ (ESGA 28, Br. 780a)
In Br. 783 (6.6.1946) spekuliert er gegenüber dem Ehepaar Conrad, wo Edith Stein geblieben sein kann (Theresienstadt?) und empfiehlt, für einen biographischen Beitrag über sie bei Roman Ingarden nachzufragen: „er stand ihr von allen am nächsten. Lipps vielleicht ausgenommen“. Im Br. 787 (4.4.1948) kündigte er an, die Manuskripte Husserls und Edith Steins würden in Löwen für die Veröffentlichung vorbereitet.
Amata Neyer (1922-2019), Beate Beckmann-Zöller (2020)
Neyer, Amata, „Edith Steins Studienreise 1932 nach Paris. Teil 2: Von Würzburg über Heidelberg nach Straßburg“, Edith Stein Jahrbuch 2006, 9-28, S. 27f.
[1] Vgl. Feldes, Joachim, „Jean Hering -Aufbruch der Phänomenologie zur Metaphysik“, file:///C:/Users/USER/AppData/Local/Temp/Jean_Hering_Aufbruch_der_Phanomenologie.pdf (22.12.2020).