Gebete von Edith Stein

Gebete von Edith Stein

Zwei Gebete, die nicht von Edith Stein sind

– die aber ihrer Spiritualität entsprechen

Das folgende Gedicht wird immer wieder Edith Stein zugeschrieben, es stammt jedoch von Dr. Else Sternberg, abgedruckt in der Zeitschrift für Ordensfrauen An hl. Quellen, Oktober 1933, Jahrgang 26, Verlag Butzon und Bercker, S. 312, unter dem sich das Kürzel „Dr. E. St.“ befindet. Später erschien die Zeitschrift unter dem Titel Dienender Glaube. Sr. Teresia Benedicta vom Kreuz hat es wahrscheinlich zu Anfang ihres Postulats im Karmel Köln (ab 15.10.1933) abgeschrieben. Im Kölner Karmel hatte man diese Zeitschrift abonniert, und es war damals schon üblich, die Hefte im Konvent umlaufen zu lassen. Das Gedicht / Gebet liegt auf einem Zettel in ihrer Handschrift vor:

„Laß’ blind mich, Herr, die Wege gehn, die Deine sind.
Will Deine Führung nicht verstehn, bin ja Dein Kind!
Bist, Vater der Weisheit, auch Vater mir.
Führst durch Nacht Du auch, führst doch zu Dir.
Herr, laß geschehen, was Du willst, ich bin bereit!
Auch wenn Du nie mein Sehnen stillst in dieser Zeit.
Bist ja der Herr der Zeit. Das Wann ist Dein.
Dein ew’ges Jetzt, einst wird es mein.
Mach alles wahr, wie Du es planst in Deinem Rat.
Wenn still Du dann zum Opfer mahnst, hilf auch zur Tat.
Laß überseh’n mich ganz mein kleines Ich,
daß ich, mir selber tot, nur leb’ für Dich.“

Mutter Renata Posselt nahm das Gedicht in die Biographie auf, die 1948 bei Glock & Lutz (Nürnberg) erschien; das Gedicht steht auf S. 143f. Bald nach Erscheinen der Biographie meldete sich im Kölner Karmel Dr. Else Sternberg und gab an, dieses Gedicht stamme von ihr, und sie habe es vor Jahren mit der Signatur Dr. E. St. in der Zeitschrift »An heiligen Quellen« (Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer), einem Blatt für Ordensfrauen, veröffentlicht. Von der dritten Auflage (Sommer 1949) an wurde es dann in der Biographie ganz weggelassen. Da war es aber schon zu spät, um seine Verbreitung unter dem Namen Edith Steins noch aufhalten zu können.

Vgl. ausführlicher dazu: M. Amata Neyer, „Edith Stein zugeschrieben“, in: Edith Stein Jahrbuch 2007, 213-216.

Auch das folgende Gebet stammt nicht von Edith Stein, auch wenn man es oft unter ihrem Namen antrifft:

„Ohne Vorbehalt und ohne Sorge
nehm’ ich das Jahr aus deiner Hand.
Sei mein Heute,
sei mein gläubig Morgen,
sei mein Gestern, das ich überwand.
Frag mich nicht
nach meinen Sehnsuchtswegen,
bin in deinem Mosaik ein Stein.
Wirst mich an die rechte Stelle legen,
deinen Händen bette ich mich ein.“

Gebete, die tatsächlich von Edith Stein stammen

Heilige Nacht (6.12.1937)
– (für Rosa, zur Erinnerung an den 24.XII.1936)[1]

Mein Herr und Gott,
Du hast mich einen langen, dunklen Weg geführt,
Steinig und hart.
Oft wollten meine Kräfte mir versagen,
Fast hofft’ ich nimmer, je das Licht zu seh’n.
Doch als im tiefsten Schmerz mein Herz erstarrte,
Da ging ein klarer, milder Stern mir auf.
Er führte mich getreu – ich folgt’ ihm,
Zagend erst, dann immer sich’rer.
So stand ich endlich an dem Tor der Kirche.
Es tat sich auf – ich bat um Einlaß.
Aus Deines Priesters Mund grüßt mich Dein Segenswort.
Im Inneren reiht sich Stern auf Stern.
Rote Blütensterne weisen mir den Weg zu Dir.
Sie harren Dein zur Heil’gen Nacht.
Doch Deine Güte
Läßt sie mir leuchten auf dem Weg zu Dir.
Sie führen mich voran.
Das Geheimnis, das ich im Herzen tief verbergen mußte,
Nun darf ich laut es künden:
Ich glaube – ich bekenne!
Der Priester geleitet mich die Stufen zum Altar hinauf:
Ich neige die Stirn –
Das heil’ge Wasser fließt mir übers Haupt.

Ist’s möglich Herr, daß einer neu geboren wird,
Der schon des Lebens Mitte überschritten?
Du hast’s gesagt, und mir ward’s Wirklichkeit.
Eines langen Lebens Last an Schuld und Leiden
Fiel von mir.
Aufrecht empfang’ ich den weißen Mantel,
Den sie mir um die Schultern legen,
Der Reinheit lichtes Bild.

Ich trag’ in meiner Hand die Kerze.
Ihre Flamme kündet,
Daß in mir Dein heil’ges Leben glüht.
Mein Herz ist nun zur Krippe worden,
Die Deiner harrt.

Nicht lange!
Maria, Deine und auch meine Mutter
Hat ihren Namen mir gegeben.
Um Mitternacht legt sie ihr neugebor’nes Kind
Mir in das Herz.

O keines Menschen Herz vermag’s zu fassen,
Was denen Du bereitet, die Dich lieben.
Nun hab’ ich Dich und laß Dich nimmermehr.
Wo immer meines Lebens Straße geht,
Bist Du bei mir,
Nichts kann von Deiner Liebe je mich scheiden.
(ESGA 20, 51-53)

Am Steuer
(Januar 1940)

Herr, stürmisch sind die Wellen
Und dunkel ist die Nacht,
Willst Du sie nicht erhellen
Für mich, die einsam wacht?

Halt fest die Hand am Steuer
Und sei getrost und still.
Dein Schifflein ist mir teuer,
Zum Ziel ich’s lenken will.

Hab nur mit treuen Sinnen
Stets auf den Kompaß acht,
Der hilft das Ziel gewinnen
Durch Stürme und durch Nacht.

Die Nadel zittert leise
Und steht dann wieder still,
Daß Richtung sie Dir weise,
Wohin die Fahrt ich will.

Sei drum getrost und stille:
Es führt durch Sturm und Nacht
Getreu Dich Gottes Wille,
Wenn das Gewissen wacht.

(ESGA 20, 196-97)

[1] Das war Rosas Tauftag in Köln.

Pfingst-Novene (1937)

I.
Wer bist Du, süßes Licht, das mich erfüllt
Und meines Herzens Dunkelheit erleuchtet?
Du leitest mich gleich einer Mutter Hand,
Und ließest Du mich los, so wüßte keinen Schritt ich mehr zu gehen.
Du bist der Raum, der rund mein Sein umschließt und in sich birgt,
Aus Dir entlassen sänk’ es in den Abgrund
Des Nichts, aus dem Du es zum Sein erhobst.
Du, näher mir als ich mir selbst
Und innerlicher als mein Innerstes –
Und doch ungreifbar und unfaßbar
Und jeden Namen sprengend:
Heiliger Geist – Ewige Liebe.

II.
Bist Du das süße Manna nicht,
das aus des Sohnes Herzen in mein Herz überströmt,
Der Engel und der Sel’gen Speise?
Er, der vom Tod zu neuem Leben sich erhob,
Er hat auch mich zu neuem Leben auferweckt
vom Schlaf des Todes,
Und neues Leben gibt Er mir von Tag zu Tag,
Und einst soll seine Fülle mich durchfluten,
Leben von Deinem Leben – ja Du selbst:
Heiliger Geist – Ewiges Leben.

III.
Bist Du der Strahl,
der von des ew’gen Richters Thron herniederzuckt
Und einbricht in die Nacht der Seele,
Die nie sich selbst erkannt?
Barmherzig-unerbittlich dringt er in verborg’ne Falten.
Erschreckt vom Anblick ihrer selbst,
Gewährt sie Raum heiliger Furcht,
Dem Anfang jener Weisheit,
Die aus der Höhe kommt und in der Höhe uns fest verankert,
Deinem Wirken, das neu uns schafft:
Heiliger Geist – alldurchdringender Strahl.

IV.
Bist Du des Geistes Fülle und der Kraft,
Womit das Lamm die Siegel löst
Von Gottes ew’gem Ratschluß?
Von Dir getrieben reiten des Gerichtes Boten durch die Welt
Und scheiden mit scharfem Schwert
Das Reich des Lichtes von dem Reich der Nacht.
Dann wird der Himmel neu und neu die Erde,
Und alles kommt an seinen rechten Ort
Durch Deinen Hauch:
Heiliger Geist – Siegende Kraft.

V.
Bist Du der Meister, der den ew’gen Dom erbaut,
Der von der Erde durch den Himmel ragt?
Von Dir belebt erheben sich die Säulen hoch empor
Und stehen unverrückbar fest.
Bezeichnet mit dem ew’gen Namen Gottes
Recken sie sich hinauf ins Licht
Und tragen die Kuppel, die den heil’gen Dom bekrönend abschließt:
Dein weltumfassendes Werk,
Heiliger Geist – Gottes bildende Hand.

VI.
Bist Du es, der den klaren Spiegel schuf,
Zunächst des Allerhöchsten Thron
Gleich einem Meere von Kristall,
Darin die Gottheit liebend sich beschaut?
Du neigst Dich über Deiner Schöpfung schönstes Werk,
Und strahlend leuchtet Dir Dein eig’ner Glanz entgegen
Und aller Wesen reine Schönheit
Vereinigt in der lieblichen Gestalt
Der Jungfrau, Deiner makellosen Braut:
Heiliger Geist – Schöpfer des Alls.

VII.
Bist Du das süße Lied der Liebe und der heil’gen Scheu,
Das ewig tönt um des Dreifalt’gen Thron,
Das aller Wesen reinen Klang in sich vermählt?
Der Einklang, der zum Haupt die Glieder fügt,
Darin ein jeder seines Seins geheimen Sinn beseligt findet
Und jubelnd ausströmt,
Frei gelöst in Deinem Strömen:
Heiliger Geist – Ewiger Jubel.“

(ESGA 20, 39-42)
Edith Stein

 „Ich bleibe bei Euch …“

(Fronleichnam, 16. Juni 1938)

Du thronest an des Vaters rechter Hand
Im Reiche seiner ew’gen Herrlichkeit
Als Gottes Wort von Anbeginn.

Du herrschest auf dem allerhöchsten Thron
Auch in verklärter menschlicher Gestalt,
Seitdem vollbracht Dein Erdenwerk.

So glaube ich, weil es Dein Wort mich lehrt,
Und weil ich glaube, weiß ich es beglückt,
Und sel’ge Hoffnung draus erblüht:

Denn wo Du bist, da sind die Deinen auch,
Der Himmel ist mein herrlich Vaterland,
Ich teil’ mit Dir des Vaters Thron.

Der Ewige, der alle Wesen schuf,
Der, dreimal heilig, alles Sein umfaßt,
Hat noch ein eig’nes stilles Reich.

Der Menschenseele innerstes Gemach
Ist des Dreifalt’gen liebster Aufenthalt,
Sein Himmelsthron im Erdenland.

Dies Himmelreich aus Feindeshand zu lösen,
Ist Gottes Sohn als Menschensohn gekommen,
Er gab sein Blut als Lösepreis.

Im Herzen Jesu, das durchstochen ward,
Sind Himmelreich und Erdenland verbunden,
Hier ist für uns des Lebens Quell.

Dies Herz ist der Dreifalt’gen Gottheit Herz
Und aller Menschenherzen Mittelpunkt,
Das uns der Gottheit Leben spendet.

Es zieht uns an sich mit geheimer Macht,
Es birgt in sich uns in des Vaters Schoß
Und strömt uns zu den Heil’gen Geist.

Dies Herz, es schlägt für uns im kleinen Zelt,
Wo es geheimnisvoll verborgen weilt,
In jenem stillen, weißen Rund.

Das ist Dein Königsthron, o Herr, auf Erden,
Den sichtbar Du für uns errichtet hast,
Und gerne siehst Du mich ihm nah’n.

Du senkst voll Liebe Deinen Blick in meinen
Und neigst Dein Ohr zu meinen leisen Worten
Und füllst mit Frieden tief das Herz.

Doch Deine Liebe findet kein Genügen
In diesem Austausch, der noch Trennung läßt:
Dein Herz verlangt nach mehr.

Du kommst als Frühmahl zu mir jeden Morgen,
Dein Fleisch und Blut wird mir zu Trank und Speise
Und Wunderbares wird gewirkt.

Dein Leib durchdringt geheimnisvoll den meinen,
Und Deine Seele eint sich mit der meinen:
Ich bin nicht mehr, was einst ich war.

Du kommst und gehst, doch bleibt zurück die Saat,
Die Du gesät zu künft’ger Herrlichkeit,
Verborgen in dem Leib von Staub.

Es bleibt ein Glanz des Himmels in der Seele,
Es bleibt ein tiefes Leuchten in den Augen,
Ein Schweben in der Stimme Klang.

Es bleibt das Band, das Herz mit Herz verbindet,
Der Lebensstrom, der aus dem Deinen quillt
Und jedes Glied belebt.

Wie wunderbar sind Deiner Liebe Wunder,
Wir staunen nur und stammeln und verstummen,
Weil Geist und Wort versagt.

(ESGA 20, 179-182)

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