Privatdozent Pfarrer Dr. Joachim Reger

Edith Stein: „Allen bin ich alles geworden“

Pfarrer Dr. Joachim Reger ging auf das vielfältige Gedankengut der Philosophin ein Schifferstadt. Die Philosophie hat maßgeblich zum Glaubensweg von Edith Stein beigetragen. Darum ging es auch im Vortrag am dritten Fastensonntag, 20. März, im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum Heiligen Edith-Stein-Jahr in der St. Laurentiuskirche, der in eine Andacht mit einbezogen wurde.

Referent war Privatdozent Pfarrer Dr. Joachim Reger aus Frankenthal, dem Pfarrer Dr. Georg Müller ein herzliches Willkommen entbot.

„Die Philosophie ist nicht zu trennen von ihrem Lebens- und Glaubensweg, sie war ganz davon durchdrungen“, meinte dieser zu Beginn der Andacht.

„Allen bin ich alles geworden“ – Einfühlung als Mitte des Denkens und Lebens von Edith Stein“ war der Vortrag des Referenten überschrieben, zu dem es eingängige Erläuterungen gab. Dabei sprach er schwerpunktmäßig über Philosophie, Phänomenologie, Einfühlung und Kreuzeswissenschaften.

„Es geht in der Philosophie um die Erkenntnis der Dinge, sie konkret, anschaulich und begreifbar zu machen, was sie sind, was sie auszeichnet und das Nachdenken darüber, wie man zu dieser Erkenntnis kommt“, fasste Pfarrer Dr. Joachim Reger zusammen.

Dazu braucht es eine exakte Erkenntnis der Dinge, um in der Welt agieren, handeln und erwägen zu können. Als einfaches Beispiel nannte er das bewusste Hinabsteigen von Treppenstufen, bei denen es aber auch notwendig sein kann, sie auszuleuchten, da sie im Dunkeln gefährlich sind.

Edith Steins Neugier, stets auf der Suche nach der Wahrheit, lässt sich als Philosophin drauf ein, will alles ergründen und gelangt so unmittelbar in die Welt der Phänomenologie, die sich auf eine Lebenshaltung bezieht. Denn hierbei geht es um die genaue Wahrnehmung der Wirklichkeit. Das Zentrale besteht darin, die perspektivische Wahrnehmung zu überwinden, indem ein Rückgang zu den Sachen selbst, also zu dem, was wirklich gegeben ist, angestrebt wird.

Ein solches Bestreben erfordert zugleich das Bewusstsein, selbst zu thematisieren, da dieses direkt am Erkenntnisprozess beteiligt ist. In ihrer Dissertation „Vom Wesen der Einfühlung“ (1916) versucht Edith Stein dann eine Methode zu entwickeln, mit der eine solche Erkenntnis möglich ist, die Einfühlung. Sie bedeutet für sie nicht das Erfassen fremder Argumente und Ideen, sondern das Erfühlen des inneren Erlebens, des subjektiven Empfindens einer anderen Person, ihres Glücks, ihrer Trauer, ihrer Freude und Angst.

Als Beispiel nennt sie dabei: „Ein Freund tritt zu mir herein und erzählt mir, dass er seinen Bruder verloren hat, und ich gewahre seinen Schmerz. Was ist das für ein Gewahren? Worauf es sich gründet, woraus ich den Schmerz entnehme, darauf möchte ich hier nicht eingehen.

Vielleicht ist sein Gesicht blass und verstört, seine Stimme klanglos und gepresst, vielleicht gibt er auch in Worten seinem Schmerz Ausdruck: all das sind natürlich Themen für Untersuchungen, aber darauf kommt es mir hier nicht an. Nicht auf welchen Wegen ich dazu gelange, sondern was es selbst, das Gewahren, ist, möchte ich wissen.“ Es geht ihr also nicht um die Beschreibung der Trauer.

Sie möchte vielmehr im Einfühlungsakt tiefer das Wesen der Trauer, ja die Mitte der Person des anderen schauen. Die Einfühlung stellt deshalb eine Grundhaltung dar, die darin besteht, Verständnis der Welt durch das kompromisslose Sich- Einlassen zu erlangen: „Allen bin ich alles geworden“.

Die Theologie ist unmittelbar damit verbunden, was Edith Stein stets vorangetrieben hat. Und auch die Phänomenologie ist strukturell eng mit dem Christentum verwandt. In Jesus Christus hat sich ein exemplarischer Einfühlungsakt ereignet: die Menschwerdung Gottes, denn an Weihnachten ist er allen alles geworden.

Es verwundert daher nicht, dass Steins phänomenologische Konzeption sie in die Nähe des Christentums brachte. Diese Art, konkret zu denken, ist das, was Christentum in der Menschwerdung vollzieht. Deutlich wird dieser Weg in ihrem Hauptwerk „Endliches und ewiges Sein!, das erst 1950 posthum erschienen ist. Dabei versucht sie, die ganze Welt als Ort der Einfühlung Gottes zu beschreiben.

Ihre Ausführungen wirken wie eine Begründung ihres Weges zu Gott, der Sinn allen Seins ist. Im Mittelalter stellte die Bezogenheit der Welt auf Gott noch eine Selbstverständlichkeit dar. Die Welt war Schöpfung und alles war von Gott durchdrungen. Auch wenn Edith Stein von dieser Bezogenheit der Welt auf Gott überzeugt ist, sucht sie ihn nicht jenseits der Dinge, sondern in den Sachen selbst und kommt zur Überzeugung, dass Gott in dieser Welt gegenwärtig ist.

Edith Stein ist der festen Überzeugung, dass die Welt ohne die Annahme der Prägung durch Gott keinen Sinn ergibt. Doch die Erfahrung zeigt, dass das Leben vieler Menschen auch ohne die Annahme Gottes sinnvoll erscheint. Dies erwächst keineswegs nur aus egoistischen Motiven wie Erfolg und gelungenen Lebens, sondern schließt die Fähigkeit zu Opfer und Verzicht durchaus ein.

Man ist bereit, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, beispielsweise für die Firma, die Freunde, die Freundin, das Wohl der eigenen Familie. Selbst der Tod wird sinnvoll gedeutet, man glaubt an das Weiterleben in der kommenden Generation, nimmt die Begrenzung der eigenen Lebenszeit als Aufruf, ein intensives Leben zu leben als Motivation, sich konstruktiv in die Welt einzubringen, sie kulturell, karitativ oder ethisch zu gestalten.

Grundsätzlich muss herausgestellt werden, dass es sich im Christentum nicht um rein weltliche Lebensbewältigung handelt, sondern für eine Perspektive steht, welche die Welt überschreitet und welche die Wünsche der Menschen vielfach durchkreuzt. Das Leben Edith Steins gibt dafür Zeugnis.

Die phänomenologische Haltung der Einfühlung steht dem Christentum insofern nahe, als sich Gott in der Menschwerdung ganz auf die Wirklichkeit der Menschen eingelassen hat. Die Bereitschaft Gottes, allen alles zu werden, wird noch einmal radikalisiert im Kreuz. Gott ist so einfühlend, dass er sich in die Dunkelheit menschlichen Leides begibt.

Edith Steins Wahrnehmung Gottes schließt dabei die Wirklichkeit des Kreuzes ein. Ihr Ordensname „Teresa Benedicta a cruce“ ist daher Programm, letzte Konsequenz ihres Willens sich ganz einzulassen, sich einzufühlen. In ihrer Interpretation der Schriften des Heiligen Johannes vom Kreuz sieht sie das Kreuz der Juden, des Volkes Christi, als Fortsetzung des Leidens Jesu.

Die zentrale These des Werks besteht darin, dass der Mensch, je mehr er sich dem wirklichen Wesen Gottes nähert, in die Finsternis gerät, da die Unbegreiflichkeit Gottes zunehmend aufscheint.

Der Mut, sich der dunklen Nacht des Glaubens, der Gottverlassenheit auszusetzen, wird dann zur wesentlichen Voraussetzung, in Gott zu sein. Das Licht Christi scheint aber in der Dunkelheit des Glaubenssprunges auf. Denn wer nichts anderes sucht als Gott, wandelt nicht in der Finsternis, mag er auch noch so viel Dunkel und Armut in sich sehen.

 Privatdozent Pfarrer Dr. Joachim Reger

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