Edith Stein in Thüringen

Bezüge zu Edith Stein in Thüringen

Edith Stein beschreibt ihre Wanderungen in Thüringen, wo sie die Wartburg kennen lernte. An die erinnerte sie sich später, als sie die beiden Vorträge „Elisabeth von Thüringen“ 1931 in Wien und „Lebensgestaltung im Geist der Hl. Elisabeth“ 1932 in Zürich hielt (ESGA 19, 15-43). Weimar und Jena haben sie beeindruckt.

 

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Edith Stein und Thüringen

Edith Stein ist mit Thüringen über ihre Liebe zur Natur und zur Kultur verbunden. Während ihres Studiums in Göttingen bei dem berühmten Phänomenologen Edmund Husserl (1913-16) unternahm sie über Pfingsten 1913 mit ihrer Freundin Rose Guttmann eine mehrtägige Wanderung durch Thüringen. (ESGA 1, 194-97) Als Wanderkarte hatte ihnen ihr Cousin Richard Courant seine Truppen-Übungs-Karte von Thüringen geliehen, die gute Dienste tat – noch war der Erste Weltkrieg nicht vorher zu erahnen. Edith Stein berichtet in ihrer Autobiographie „Aus dem Leben einer jüdischen Familie“ von der fröhlichen Wanderung durch Thüringen: „Wir stiegen von Eisenach zur Wartburg auf, gingen durch die Drachenschlucht zur Hohen Sonne, später auf dem Rennsteig zum Inselsberg.“ (ESGA 1, 194)

Als Germanistik-Studentin war sie für die Weimarer Klassik begeistert. Als sie später als Lehrerin an der katholischen Lehrerinnen-Bildungsanstalt St. Magdalena in Speyer wirkte (1923-1931), stellte sie Aufsatzthemen für ihre Lehramtsstudentinnen, die um die Weimarer Größen Goethe und Schiller kreisten (ESGA 28, 17-93) – so dass ein Besuch in Weimar und Jena nicht fehlen durfte.

Da Edith Stein neben ihrem Berufswunsch, Philosophie-Professorin zu werden, auch den Brotberuf des Lehramts – ihrer Mutter wegen – anstrebte, wollte sie zusätzlich die „Freie Schulgemeinde Wickersdorf“ bei Saalfeld/Saale besichtigen, was aber wegen der fehlenden finanziellen Mittel am Ende ausfallen musste. Edith Stein war während ihres Studiums in Breslau (1911-13) gemeinsam mit ihrer Freundin Rose Mitglied einer „Pädagogischen Gruppe“ gewesen, in der sie sich über pädagogische Fragen durch Referate von Rektoren und erfahrenen Lehrern austauschten.

Sie gehörten auch dem „Bund für Schulreform“ an, denn sie erlebten es als „unerträglichen Mangel“, „daß an der Universität eigentlich nichts zur Vorbereitung auf den späteren Lehrberuf geschah. Es gab wohl theoretische Vorlesungen über Pädagogik, und man mußte im Staatsexamen einige Kenntnisse daraus nachweisen. Aber in lebendige Verbindung mit den großen Erziehungsfragen und mit der Schulpraxis kam man dadurch nicht. Es war der Mangel, der später zur Reform der Lehrerbildung und zur Begründung der Pädagogischen Akademien geführt hat. So hatten diese jungen Menschen zur Selbsthilfe gegriffen.“ (ESGA 1, 147)

Mussten auch die pädagogischen Besichtigungen in Wickersdorf ausfallen, so beeindruckten Weimar und besonders Jena Edith Stein sehr: „In Weimar besuchten wir das stattliche Goethehaus am Frauenplan und das reizende Gartenhaus am Stern, das Schillerhaus mit dem rührend armseligen Sterbezimmerchen. Nachmittags gingen wir hinaus nach Tiefurt“. Das Schloss Tiefurt war der Sommersitz der Herzogin Anna Amalia, die dort Goethe und andere zeitgenössische Größen aus Weimar empfing. „Ich freute mich, Jena kennenzulernen, und fühlte mich dort viel wohler als in Weimar. Man konnte in aller Stille die Erinnerungsstätten aufsuchen; es war hier alles weniger aufdringlich und man stieß nicht überall auf ein andächtig staunendes Mädchenpensionat.“ (ESGA 1, 196) In Jena lehrte Schiller seit 1789 als Professor für Geschichte. Hegel, Fichte und Schelling machten Jenas philosophische Fakultät weltberühmt, und auch der Philosoph Max Scheler, der Edith Stein stark beeinflussen sollte, war dort einige Jahre zuvor Dozent gewesen.

1918 hat Edith Stein dann noch eine weitere Verbindung nach Jena, denn dort wurde der Sohn ihres „Meisters“, wie sie ihren Doktorvater Edmund Husserl nannte, nämlich Gerhart Husserl (22.12.1893 Halle/Saale – 9.9.1973 Freiburg i. Br.) schwer verwundet, überlebte aber den Krieg im Gegensatz zu Husserls jüngerem Sohn. Die Tochter Elli musste ihren Bruder in Jena im Lazarett besuchen, so dass Edith Stein im Hause Husserls für dessen Pflege sorgen musste, er hatte sich eine schwere Grippe zugezogen (ESGA 4, Br. 54, 18.10.1918).

Später beschäftigte sich Edith Stein mit der Hl. Elisabeth von Thüringen (1207-1231) und hat sicher oft an ihren Besuch auf der Wartburg zurückgedacht, die seit dem 12./13. Jh. als Sitz der Landgrafen von Thüringen diente. Hier lebte die hl. Elisabeth von Thüringen als Gemahlin Ludwigs IV.; später übersetzte Luther hier das Neue Testament ins Deutsche und hier spielte auch der Sängerstreit, der in Richard Wagners „Tannhäuser“ dargestellt wird.

Edith Stein hielt ihren Vortrag „Elisabeth v. Thüringen – Natur und Übernatur in der Formung einer Heiligengestalt“ (ESGA 19, 15-29) am 30.5.1931 anlässlich der 700-Jahrfeier des Todestages der hl. Elisabeth v. Thüringen zuerst in Wien beim dritten katholischen Frauentag. Dazu hatte die Katholische Reichs-Frauenorganisation unter Führung ihrer Präsidentin Fürstin Fanny Starhemberg eingeladen. (ESGA 2, Br. 156, Anm. 2)

Später half sie noch mehrfach in den Jahren 1931 und 1932 durch Vorträge und deren Veröffentlichung, Elisabeth von Thüringen an unterschiedlichen Orten zu ehren und die Vertreterin der christlichen Nächstenliebe somit neu ins Gedächtnis zu rufen, z.B. am 22.11.1931 für die Heidelberger Katholiken in der großen Stadthalle (ESGA 2, Br. 163) mit dem Vortrag „Lebensgestaltung im Geist der heiligen Elisabeth (1932)“ (ESGA 19, 30-43).

Wenn die Philosophin in den späteren Jahren auch nur durch die Heilige Elisabeth an den Freistaat Thüringen erinnert wurde, so hat sich doch durch ihren Natur-und-Kultur-Besuch im Jahr 1913 eine enge bleibende Verbundenheit entwickelt.

Dr. Beate Beckmann-Zöller (2020)